Wir lieben Konsens

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Reden lernt man durch reden

Mit meiner Ex habe ich gelernt, über Sex zu reden. Wir haben zusammen Zines über Consent gelesen. Ich habe all die Fragen, die dort aufgelistet sind für mich selbst beantwortet. Ich habe ihr eine E-Mail geschickt, mit all den Fragen in einem der Zines. Ich habe einen Comic über Consent ins Deutsche übersetzt. Ich habe ein Zine gemacht, dass ein Wörterbuch für Sexwörter ist. Mit meiner Ex zusammen habe ich viele Wörter hineingeschrieben. Ich habe auch Wörter wieder mit Tipp-Ex weggemacht, weil ich sie doof fand. Wir haben uns unser eigenes Vokabular gebaut. Wir haben Codewörter für „Stopp“,  „tu was du willst, du brauchst jetzt nicht fragen“ und „ab hier musst du wieder fragen“ erfunden. Wir haben sie benutzt. Wir hatten unglaublich viel Sex und ich habe ihn genossen wie noch nie in meinem Leben zuvor. Dadurch, dass wir nicht nur Sex hatten, sondern auch darüber geredet haben, war unsere Beziehung insgesamt sexuell. Und zärtlich. Wir haben nicht nur darüber geredet, was wir zusammen machen, sondern auch festgelegt, was wir mit anderen Menschen tun dürfen. Wir sind nicht einfach davon ausgegangen, dass wir monogam leben müssen, sondern haben über unsere Grenzen gesprochen. Was, wenn ich wen anders küsse? Was, wenn du wen anders küsst? Geht das? Oder lieber nicht?

Unsere Beziehung war ein kontinuierliches Gespräch. Immer und immer hat sich etwas verändert, war etwas neu und wir haben uns abermals aufeinander eingelassen. Wir haben in verdammt vielen Dingen Konsens gefunden. Und dann irgendwann nicht mehr. Nachdem wir sehr viel genossen haben, dass wir beide mochten, haben wir uns in unterschiedliche Richtungen bewegt. Ich wollte mehr davon, sie mehr von etwas anderem. Das passiert. So ist das Leben. Wir haben uns getrennt, weil wir keinen Konsens mehr finden konnten. Weil wir uns nicht gegenseitig zerfleischen wollen, in dem Versuch, Bedürfnisse zu erfüllen, die wir nicht erfüllen können. Liebe heißt eben nicht, die gleichen Dinge zu mögen. Das kontinuierliche Gespräch ist zu Ende gegangen und ich nehme sehr viel mit. Unter anderem die Fähigkeit, über Sex zu reden.

Es kann mich total nerven, über Sex zu reden. Es kann furchtbar frustrierend sein. Manchmal vergreif ich mich im Ton, wenn ich sage, was ich nicht mag. Manchmal bin ich viel zu unfreundlich, aus Angst, dass ein freundliches Nein nicht als Nein gewertet wird.
Manchmal ist es mir schrecklich peinlich, Wörter wie „ficken“, „Dildo“ oder „Gleitgel“ in den Mund zu nehmen. In der Vergangenheit habe ich ein mal ohne Kondom gevögelt, weil es mir zu peinlich war, nach einem Kondom zu fragen. Ich hatte Glück, ich habe mich mit nichts angesteckt und es kam nicht zu einer Schwangerschaft. Jetzt kann ich recht problemlos nach Kondomen fragen. Gleitgel ist schwerer. Wenn ich nach Gleitgel frage, ist es mir peinlich, weil die Notwendigkeit, Gleitgel zu benutzen dem Märchen widerspricht, das Sex etwas ist, das „von selber“ geht.
Dann traue ich mich manchmal nicht, die Person zu fragen, was er_sie mag. Ich liege einfach nur da, lasse die andere Person machen und bin zu schüchtern, etwas zurückzugeben. Ich ziehe nur mich aus, und wage mich nicht unter die Kleidung der anderen Person, weil sie_er es ja doof finden könnte. Entweder er_sie findet meine Art zu fragen doof oder er_sie findet es doof, nicht gefragt zu werden. Ein verdammtes Dilemma!

Das alles passiert. Immer wieder. Bei jeder neuen Person, mit der ich sexuell sein möchte ist es aufs Neue kompliziert. Aber ich will mit dieser Person auf tolle Art Sex haben, so wie wir es beide mögen. Also mache ich den Mund auf, frage nach Gleitgel, vergreife mich dabei vielleicht im Ton, entschuldige mich dafür und versuche es wieder gut zu machen. Ich sage was ich will, ich frage, was er_sie will. Und wir machen es. Und das ist der beste Sex den ich je hatte, der Sex den ich habe, seitdem ich mich traue, den Mund aufzumachen. Und deshalb ist es egal, dass es kompliziert ist.

Hier eine kleine platonische Konsenserfahrung von em.:

gestern abend hatte ich mein 2. bewusstes konsens-erlebnis. beim dvd schauen fragte ich eine bekannte ob ich mich bei ihr anlehnen dürfte (mir war sehr nach körperkontakt und es brauchte einiges an überwindung meinerseits, diese person das zu fragen. zur klärung: ich wollte mich auch wirklich nur anlehnen, sonst nix). ihre antwort: „äh, Nein, da bist du bei mir an der falschen.“ okay, ich kam mir doof vor, fand’s schade und hab überlegt ob sie dachte, dass ich mir mehr erhoffe. ich wartete mit der nachfrage bis zum ende des films weil es mir wichtig war ihr klares Nein einfach so stehen zu lassen.
als ich die situation nach dem film nochmal ansprach und wir noch ein paar sachen klären konnten bzw. allgemein über das konsenskonzept sprachen, meinte ich zu merken, dass sie erleichtert war, dass ihr Nein wirklich okay für mich war, ich das nicht komisch fand noch als unnormal oder sonstwie bewertete und dadurch auch keine distanz zwischen uns entstand.
als sie mich zum abschied herzlich umarmte, war meine freude darüber groß weil ich wußte, dass das etwas war was sie mit mir teilen konnte und wollte.


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